Für die am Thema Rumänien Interessierten möchte ich hier einen kurzen Abriss über die Entstehung des Kulturraumes in Transilvanien bzw. Siebenbürgen und die Transmigration der Landler geben. Auf Turnișor (Neppendorf) möchte ich genauer eingehen, weil sich an diesem Stadtteil von Sibiu zeigt, wie resistent selbst kulturverwandte Siedlergruppen in ihren Gebräuchen verharren und eine Assimilation verweigern, selbst wenn sie der gleichen Religion angehören.
Durch die Migration wurde das Land während der Jahrhunderte aber auch zu einem Hort der Bau- und Handwerkskunst und die freiwilligen und unfreiwilligen Umsiedler haben sich trotz vielerlei Rückschläge immer wieder erstaunlichen Wohlstand und Achtung verschafft, der in der Zubilligung außergewöhnlicher Rechte durch die ungarischen und später österreichischen Königshäuser gewürdigt wurde. Grundlage dafür war immer eine enorme Leistungsbereitschaft, die trotz vieler Rückschläge Siebenbürgen lange Zeit zum Schutzwall des Westens gegen Mongolen und Türken machte. Die wechselvolle Geschichte endet 1989 mit dem Sturz des Ceaușescu-Regimes, das den Siebenbürger Sachsen nochmals schwer zusetzte und die danach den Auswanderungsanreizen Deutschlands erlagen, was zu einem fast vollständigen Exodus aus Rumänien führte.
Die Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen
Geisa II. (1141—1162), ein ungarischer Fürst, begann um die Mitte des 12. Jahrhunderts mit einer großzügigen Ansiedlung deutscher Bauern und Bergleute, die ausdrücklich zum Schutz der Krone (ad retinendam coronam) nach Siebenbürgen gerufen wurden. Sie sollten das Land urbar und fruchtbar machen und die reichlich vorhandenen Bodenschätze fördern. Die Kolonisten waren meist Moselfranken, wie ihre bis heute gepflegte Mundart beweist, die im Luxemburgischen, im Hunsrück und in der Eifel heute noch gesprochen wird. Auch der ans Fränkische erinnernde Baustil der vielen erhaltenen Häuser belegt das. Dass sich für die Siebenbürger der Begriff „Sachsen“ eingebürgert hat, hat wohl mit der damaligen ungarischen Kanzleisprache zu tun.
Da der Königsboden zu Beginn der Migration nur sehr schwach besiedelt war, gab es keine nennenswerten Ressentiments gegen die Neuankömmlinge oder Widerstand gegen deren Ansiedlung. Die mitgebrachte Kultur entwickelte sich hier neben der rumänischen, orthodox geprägten Kultur eigenständig weiter.
Da Landwirtschaft, Obstanbau und Weinbau hervorragend gedien und bald Waren Richtung Westen exportiert wurden, erließ König Andreas II. im Jahr 1224 den Goldenen Freibrief (Andreanum), der den Siebenbürger Sachsen eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit zubilligte. Der siebenbürgische Teil des Königsbodens wurde in sieben „Stühle“. d.h. sieben eigenständige Verwaltungseinheiten aufgeteilt, die im Wappen Siebenbürgens als Türme dargestellt sind. Ihnen übergeordnet war der Hauptstuhl Hermannstadt (Sibiu).
Innerhalb der Ortschaften entstanden früh sogenannte „Nachbarschaften“, eine Organisationsform, in die sich jeder Erwachsene (symbolisch) einkaufen musste und die nachbarschaftliche Rechte und Pflichten regelte. So hatte man das Anrecht auf und die Pflicht zur Hilfe beim Hausbau, bei Krankheit, Tod, Geburt, Taufe, Hochzeit etc. . Die „Nachbarschaft“ bestand dabei in der Regel aus einer Häuserzeile und in Notzeiten waren die Nachbarschaften auch untereinander zur Hilfe verpflichtet.
Der Mongolensturm 1241 drängte die Herrscher von Ungarn zurück und führten in seiner Folge zum Wiederaufbau der zerstörten Städte und Dörfer, die jetzt mit Stadtmauern und Kirchenburgen ausgerüstet wurden. Bis zum -> Türkenkrieg Anfang des 15. Jhdt.s etablierte sich eine fleißige und wohlhabende Gesellschaft, die nach der Niederlage in den nachfolgenden 150 Jahren zwar selbständig, aber an den Sultan tributpflichtig war. Erst nach der zweiten türkischen Belagerung Wiens 1683 gelang es, die Türken aus dem Land zurückzudrängen, wozu das siebenbürgisch-sächsische Militär entscheidend beitrug.
Es folgte wieder eine Zeit mit Höhen und Tiefen. Die folgenden Jahrhunderte waren geprägt von Tartarenüberfällen aus dem Osten (der Letzte fand 1717 statt) und der Pest. So existieren ausführliche Berichte über die Pestepidemien von 1717 – 1720 und 1755 – 1756, also just um die Zeit, in der die Landler nach Siebenbürgen umgesiedelt wurden.
Die Transmigration der Landler
Der Begriff der Transmigration ist vom lateinischen „transmigrare“ abgeleitet, was man mit „etwas Bewegliches hinüber schicken“ übersetzen kann. Er war in der österreichischen Kanzleisprache im 18. Jhdt. gebräuchlich und wurde für das Verschicken der eigenen Untertanen entgegen ihrem ausdrücklichen Willen verwendet.
In den Jahren 1734 bis 1756 fanden durch Karl VI. und Maria Theresia religiös motivierte Umsiedlungen von in Oberösterreich verbliebenen Protestanten nach Apoldu de Sus (Großpold), Turnișor (Neppendorf) und Cristian (Großau) statt. Die erste Welle von 800 Landlern zwischen 1734 und 1737 unter Karl VI. wurde als Transmigration bezeichnet. Der sogenannte Königsboden war zum Einen das Letzte auf dem Gebiet der K&K-Monarchie verbliebene protestantische Gebiet und zum Anderen war die Bevölkerung in dieser Gegend durch die Pest und die Türkenkriege stark dezimiert worden. Den Landlern wurden leerstehende Bauernhöfe und zugehöriges Land in Turnișor (Neppendorf) und Cristian (Großau) zugewiesen, was bei der dort noch ansässigen Bevölkerung der Siebenbürger Sachsen mit Skepsis und Neid gesehen wurde.
Zeitraum | Anzahl | Herkunft |
---|---|---|
04.07.1734 – 20.08.1734 | 263 | Goisern, Hallstadt, Ischl |
19.09.1734 | 168 | keine Aufzeichnung |
August 1735 | 6 | keine Aufzeichnung |
09.10.1735 | 93 | Goisern |
29.11.1735 | 106 | Goisern, Hallstadt, Ischl |
Dezember 1735 | 24 | keine Aufzeichnung |
11.11.1737 | 97 | keine Aufzeichnung |
Weitere 2000 Personen aus dem Gebiet Wels, Gmunden, Vöcklabruck) und über 1100 Personen aus Kärnten und der Steiermark wurden in den Jahren 1752 bis 1756 zwangsweise umgesiedelt, die jedoch nur noch zum Teil Hof und Land zugewiesen bekamen, da auch vermehrt Siebenbürger Sachsen und Rumänen zurückgekehrt waren. Für die Transmigranten war jedoch die Rückkehr in die Heimat ausgeschlossen und die örtlichen Behörden setzen diese Maßgabe vehement um, wie ein Betroffener schreibt.
Es sind wiederum den 5ten Jenner dieses 1764sten Jahres 15 Personen in Arrest kommen, weilen sie nicht bleiben wollen, nemlich 11 Landler und 4 Karnther.
Quelle: Nova Acta Historico-Ecclesiastica (1765) Bd. 5 S. 622
Der Wunsch nach Rückkehr rührte aus der Benachteiligung der Landler durch die Siebenbürger Sachsen. Etwa ein Drittel wurde bei der ersten Transmigration unter Karl VI. sesshaft, da ausreichend Höfe leer standen. Allerdings wurden anfangs die Handwerker nicht in die städtischen Zünfte aufgenommen und insbesondere die zweite Transmigrationswelle wurde oft um das mitgebrachte Hab und Gut gebracht, rechtlich benachteiligt und oft diskriminiert.
Erst 1766 übernahm die -> Sächsische Nationsuniversität (ein Selbstverwaltungsorgan der Siebenbürger Sachsen) die Rechtsprechung über die Landler, die nun als freie Bauern und Handwerker den Sachsen auf dem „Königsboden“ endlich rechtlich gleichgestellt wurden.
Trotz Gleichstellung und der unerheblichen kulturellen Unterschiede gab es keine Assimilierung bei den Landlern, die ebenso wie die Siebenbürger Sachsen mit eigenen Trachten und Traditionen ihre Unterschiede umso mehr betonten. Erst im 19. Jahrhundert erfolgte eine Annäherung, die dadurch zustande kam, dass die Häuserzeilen nun öfter gemischt mit Sachsen und Landlern bewohnt wurden und dadurch auch die „Nachbarschaften“ keine homogenen Gruppen mehr waren. Allerdings wurden die erheblichen sprachlichen Unterschiede beibehalten und bei Mischehen wurde verlangt, dass einer der Eheleute seine bisherige Identität zugunsten der seines Partners aufgibt. Sprache und Tracht musste entweder dem Mann oder dem Haus, in dem das Paar zukünftig wohnte, angepasst werden. Aus diesem Grund gab es nur wenige „Mischehen“ und man zog es vor, unter sich zu heiraten.
Insbesondere in der Tracht wurden die von der Ursprungsregion mitgebrachten Eigenheiten bis in die Mitte des letzten Jahrhunderts nicht nur beibehalten, sondern auch noch hervorgehoben. Ein Film von 1933 des deutschen Fotografen und Filmers Hans Retzlaff zeigt den Prunk dieser selbst genähten und selbst gestickten Trachten.
https://www.facebook.com/Skt.Petersdorf/videos/siebenb%C3%BCrgen-1930/388904305260444/
In der Kirche saß man getrennt im landlerischen oder sächsischen Seitenschiff. Beim „Eingruß“ (Eintritt) in die „Jugend“ (es gab Bruderschaften und Schwesterschaften, deren Funktion ähnlich der Nachbarschaften war) musste man sich zu einer Seite bekennen, ein „Dazwischen“ gab es nicht. Andererseits bildete die gemeinsame Religion auch eine starke soziale Klammer, die Sachsen und Landler von den orthodoxen Rumänen abgrenzte.
Ernsthafte Auseinandersetzungen zwischen den angestammten Rumänen, den ab dem 13. Jhdt. zugewanderten Roma und den Sachsen und Landlern gab es bis zu den Enteignungen nach dem zweiten Weltkrieg selten. Lediglich von Seiten der jeweiligen Herrscherhäuser verhängte Progrome gegen Zigeuner führten an manchen Orten zu kurzzeitigen Verfolgungen, wie das nach den Cholera-Epedemien im 14. Jhdt. der Fall war. Die Volksgruppen lebten meist nebeneinander her, stichelten auch gerne gegeneinander, aber waren in Notzeiten meist solidarisch. Die Sachsen und Landler waren im Sommer auf die Arbeitskraft der Zigeuner als Erntehelfer angewiesen und sie schätzten auch ihre handwerklichen Fähigkeiten beim Umgang mit Kupfer sehr. Die Rumänen wiederum waren Experten in der Weberei und Schafhaltung. Zwar waren sie weniger wohlhabend als die Sachsen, aber machten sich trotzdem mit Anerkennung über die Sachsen lustig: „Die Sachsen graben den Weinberg um. Wir trinken ihren Wein.“
Heute wohnen in Neppendorf kaum noch Landler und Siebenbürger Sachsen. Neben der Spätaussiedlung ab 1989 spielt dabei die Nachkriegsgeschichte mit Deportationen, Umerziehung und Entrechtung eine entscheidende Rolle, auf die ich in einem der nächsten Beiträge eingehen möchte.
Wikipedia, das ich nur bei unpolitischen Themen zu Rate ziehe, schreibt zum heutigen Bevölkerungsstand:
Bei der Volkszählung 2002 hatte Siebenbürgen eine Einwohnerzahl von 7.221.733, davon 74,69 Prozent Rumänen, 19,60 Prozent Ungarn, 3,39 Prozent Roma und 0,73 Prozent Deutsche (ca. 60.000).
Quelle: -> Wikipedia
Von den etwa 60.000 Deutschen in Rumänien stellen die Siebenbürger Sachsen heute nur noch ca. 14.000. Ihre Auswanderung ist zwar inzwischen verebbt, jedoch ist die verbliebene deutsche Bevölkerung so stark überaltert, dass ihre Zahl durch hohe Sterbeüberschüsse immer weiter schrumpft.
Quellennachweise:
– Museum in der Evangelischen Kirche Neppendorf
– https://www.siebenbuerger.de/landler/
– Pest in Kronstadt
– Die siebenbürgischen Landler: eine Spurensicherung
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