Jidvei (dt. Seiden) und seine Kirchenburg

Aufnahme der Kirchenburg in Jidvei (dt. Seiden) um ca. 1997

Unsere Septembertour 2022 von Blaj nach Mureș führte uns auch nach Jidvei (dt. Seiden), einem der bekanntesten Weinorte in Siebenbürgen. Der Weinanbau hat hier seit der Ankunft der Siebenbürger Sachsen genauso wie unter den Ungarn und Rumänen Tradition. Ein großflächiger Anbau erfolgte aber erst durch die Kommunisten ab 1949, die 1000 Hektar Fläche zu bewirtschaften begannen. Auf inzwischen 1400 Hektar (manche sagen 2000 Hektar) werden die Sorten Sauvignon Blanc, Riesling, Königliche Mädchentraube (Feteasca Regala), Muscat Ottonel, Gewürztraminer und Pinot Gris mit großem Erfolg angebaut. Das Ergebnis sind rund 10 Millionen Liter Wein pro Jahr.

Unsere Septembertour 2022: Kirchenburgen zwischen Blaji und Târnăveni
-> Die Kirchenburg von Bălcaciu (dt. Bulkesch)
-> Die Kirchenburg von Șona (dt. Schönau) 
-> Jidvei (dt. Seiden) und seine Kirchenburg
-> Die Kirchenburg in Tătârlaua (dt. Taterloch)
-> Die Kirchenfestung von Ighișu Nou (Eibesdorf)
Weitere Links folgen, sobald die anderen Beiträge veröffentlicht werden.

Die erste urkundliche Erwähnung des an der Târnava Mică (dt. Kleine Kokel) gelegenen Ortes Jidvei datiert auf das Jahr 1309. Wie viele Orte in Sachsen war der Ort verwaltungstechnisch geteilt und im Osten dem Adel unterstellt, im Westteil jedoch von den freien Siebenbürger Sachsen selbst verwaltet. An dieser Stelle gehen Grüße raus an die -> Freien Sachsen, auch wenn die nichts mit Siebenbürgen zu tun haben 😉

Die heutige Kirche wurde anstelle einer Basilika mit Ringmauer im 15. Jhdt. als gotische Saalkirche errichtet, die dann 1795 aufgrund des Bevölkerungswachstums der Gemeinde erweitert werden musste. Um 1408 wurde der untere Teil des Glockenturms erbaut, der 1804 auf 48 Meter Höhe aufgestockt wurde.Die Turmuhr wurde laut einer Inschrift von einem Seidener Schmid (Johannes Barth) 1775 gebaut, was für diese Zeit eigentlich sehr ungewöhnlich ist. Üblicherweise wurden dafür Turmuhren beauftragt und leider funktioniert die Uhr auch nicht mehr.

1508 wurde mit dem Bau eines Flügelaltars begonnen, wie er damals in den siebenbürgischen Kirchen üblich war. 1806 wurde er dann aber nach Taterloch verkauft, da man inzwischen den klassizistischen Stil mehr schätzte und sich den neuen Altar von der Werkstatt Petersberger fertigen lies. Das recht prunkvolle Taufbecken hatte man sich schon 1801 geleistet. Die Einwohner von Jidvei (dt. Seiden) waren, wie man an der gesamten Ausstattung der Kirche sieht, relativ wohlhabend und selbstbewusst. Auch viele Häuser bzw. ehemalige Höfe im Ort deuten aufgrund ihrer Größe darauf hin.

Altar mit Taufstein in Jidvei (dt. Seiden)
Altar mit Taufstein in Jidvei (dt. Seiden)

Wie auch schon in -> Schönau, -> Bulkesch, -> Leschkirch und -> Hahnbach wurde auch die Kirchenorgel in Jidvei von Samuel Joseph Maetz gebaut (1804), auf den ich im Beitrag über die -> Kirchenburg in Bulkesch etwas näher eingegangen bin. Die Orgel ist aktuell spielbar, wenn auch etwas verstimmt. Im klassizistischen Stil reich verziert mit goldenen Blumenornamenten auf grünem Grund und den originalen Zinnpfeifen ein echtes Schmuckstück.

Merkel würde zittern... (Kirchenburg in Jidvei / dt. Seiden)
Merkel würde zittern… (Kirchenburg in Jidvei / dt. Seiden)

Der Verwandte einer Bewohnerin einer Wohnung des Torhauses, der selbst Siebenbürger Sachse ist und seit langer Zeit in Deutschland lebt, hat uns über das Zusammenleben von Deutschen und Rumänen in Jidvei allerhand erzählt. Seine in Rumänien gebliebene Verwandte konnte seine Ansichten oft nicht teilen aber er selbst schien durch die Ereignisse nach dem Weilkrieg II sehr getroffen worden zu sein. Die 1945 beschlossene Agrarreform führte damals zur kompletten Enteignung aller „deutscher Staatsangehörigen sowie der rumänischen Staatsangehörigen, physischen und juristischen Personen, deutscher Nationalität … die mit ­Hitler-Deutschland zusammengearbeitet haben“. Laut dem Volksgruppendekret von 1940 wurden praktisch alle Deutschen Rumäniens als Mitglieder dieser NS-Organisation betrachtet und fast 60000 sächsische Bauern verloren nicht nur ihren Grund und Boden, sondern auch alle landwirtschaftlichen Geräte und ihre Häuser. Dass ab 1949 auch Ungarn und Rumänen durch die Einrichtung der Kollektivwirtschaft betroffen waren und ab 1948 alle Banken und Betriebe enteignet und verstaatlicht wurden, widerspricht seiner These vom bösen Rumänen.

Gedenktafel an die Gefallen des WW I in Jidvei (dt. Seiden)
Gedenktafel an die Gefallen des WW I in Jidvei

Auch der erste Weltkrieg hat in der Bevölkerung damals gravierende Spuren hinterlassen. Damals gelang es Rumänien jedoch das Kriegsglück am Ende der Auseinandersetzung so zu wenden, dass es sich um zwei Drittel vergrößern konnte und Siebenbürgen, die Bukowina, Bessarabien, die Dobrudscha und den Banat nach dem Vertrag von Trianon zugeschlagen bekam.

Ich habe es mir hier bewusst gestattet vom Thema etwas abzuschweifen, da wir in den Gesprächen mit den meist älteren Kirchenführern oft auf die Vergangenheit zu sprechen kommen und vieles aus ihrer Sicht unserem bisherigen Wissen widerspricht. Deshalb macht es meiner Meinung nach Sinn, immer mal wieder den Lichtkegel auf die Vergangenheit zu werfen und damit zu eigenen Recherchen anzuregen.

Falls Sie nach Jidvei kommen, dann lassen Sie die -> Cetatea de Baltă, das Bethlen-Haller-Schloss links liegen. Es ist in Privatbesitz und nur für Eingeladene zugänglich. Auch in Rumänien hat das Großkapital und die Dekadenz stellenweise schon Einzug gehalten.

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