Bisher war in den rumänischen Zeitungen von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen überhaupt nichts zu lesen. Die Meldungen der Infektionszahlen stützen sich ebenso wie in anderen Ländern auf die zweifelhaften PCR-Testergebnisse, auch wenn für den interessierten Leser immer die -> Verhältniszahlen angegeben werden, so dass man sich ein eigenes Bild verschaffen konnte. Großen Raum nahmen die Statements der Regierung ein und im TV waren nun ein Jahr lang aufgeregte Diskussionssendungen zu sehen, in denen Kritiker wie auch in Deutschland üblich, kaum zu Wort kamen.
Quelle Titelbild: Alexander Hauk / alexander-hauk.de / pixelio.de
In der Nacht von Sonntag auf Montag (28./29.3.2021) wurden neue nächtliche Ausgangsbeschränkungen in Bukarest wirksam, bis wieder eine Inzidenz von 3,5/1.000 (nach deutscher Rechnung eine Inzidenz von 350) erreicht ist. Restaurants sind geschlossen und auch eine Bewirtung in temporären Aufbauten wie Zelten sind untersagt. Des weiteren gibt es unzählige Ausnahmen und weitere Verbote, wie z.B. das Essen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Gültig sind diese Verordnungen bis zu einem maximalen Inzidenzwert von 7,5/1.000 Einwohner.
Bereits gestern (Montag, 29.2.2021) war für mich überraschend in den Zeitungen von Protesten mehrer tausend Menschen in Bukureșt gegen die Maßnahmen zu lesen. Heute, nur einen Tag später, liest man von nicht unerheblichen Protesten in Constanța, Alba Iulia, Bacău, Ploiești, Brașov, Cluj-Napoca, Galați, Iași und Sibiu. Die Demonstranten riefen „Libertate, te iubim” (Wir lieben nur die Freiheit) und „Hoții, hoții” (Diebe, Diebe). Mit Ausnahme von Bukureșt und Galați war die Anzahl der Teilnehmer eher gering. In Sibiu waren nur etwa 400 Personen an den Protesten beteiligt.
In Galați waren am Montag Abend weit über 1000 Menschen auf den Straßen weniger friedlich. Sie bewarfen stellenweise Gendarmen mit Steinen und Feuerwerkskörpern und blockierten Straßen.
Man nimmt an, dass die Proteste hauptsächlich von der AUR (Alianța pentru Unirea Românilor) ausgehen, die als rechts-konservative Partei die Prinzipien Familie, Heimat, Glaube und Freiheit vertritt. Darüberhinaus plädiert sie für einen Wiedervereinigung mit der Republik Moldau. Da die AUR von linken Kreisen in Rumänien auch als ultra-nationalistisch bezeichnet wird, könnte man hier allerdings den Versuch sehen, die Protestbewegung damit ins rechte Lager zu rücken.
Die Politik ist wenig erfreut, hat sie doch bisher mehr oder weniger erfolgreich das Impfprogramm propagiert und vor allem bei älteren Menschen Panik geschürt. Diese Panik hat allerdings insofern ihre Berechtigung, da insbesondere ältere und weniger vermögende Menschen ihr Leben selbst bei einer normalen Grippesaison nicht dem maroden rumänischen Gesundheitssystem anvertrauen sollten.
Im Vergleich zur Gängelung in Deutschland sind die Maßnahmen über das letzte Jahr besehen allerdings sehr moderat und werden auch wenn nötig wo immer möglich von der Bevölkerung unterlaufen (siehe auch -> hier).
Ovidiu Voicu, ein Orgaisator der Proteste in Bukureșt, beschreibt den Misserfolg der Politik durch Strafdrohungen und die Verbreitung von Angst so:
Seit einem Jahr sind beide Regierungen (Anm.: Orban und Cétu) sehr wenig einfühlsam. Ihre Kommunikationen beruhte auf Machtdemonstration und Geldstrafen. In keinster Weise waren sie in der Lage, die Bürger auf ein Ziel zu einen. Menschen für etwas zu sammeln, an das sie wirklich glauben, nicht für etwas, das sie aus Angst tun. Und das sieht man nun und auch die Fehler der Behörden häufen sich.
Quelle: rfi – frei übersetzt
Der Kolumnist Adrian Mihălțianu fasst treffend zusammen:
Wenn sie weiterhin in der Koalition streiten und aufeinander nur um ihrer Eitelkeit willen einschlagen, werden sie verstehen müssen, dass das, was sich im Untergrund Rumäniens zusammen braut, ein viel größeres und tieferes Phänomen ist als die wenigen tausend Menschen, die in den letzten Tagen auf die Straßen kamen.
Quelle: rfi – frei übersetzt
In Rumänien sind die erst 30 Jahre zurückliegenden Tage der Revolution noch tief in den Menschen verankert. Das gilt auch für viele der jüngeren Generation, die noch mit Interesse die Erfahrungen der Eltern und Großeltern ernsthaft zur Kenntnis nehmen. Das dürfte mithin auch ein Grund sein, warum die Politik in Rumänien vorsichtiger agiert und nun nach einem Jahr Corona-Restriktionen trotzdem mit vermehrten Protesten und heftigerem Gegenwind rechnen muss, der sich schnell zum Sturm entwickeln könnte. Auch den meisten Politikern dürften die Bilder von 1989 ins Gedächtnis gebrannt sein.
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