Nach beinahe zweimonatiger Regierungskrise in Rumänien haben sich die Parteien PNL, PSD und UDMR auf eine neue Regierungskoalition geeinigt. In meinem Beitrag -> Florin Cîțu und die Winkelzüge des Präsidenten Iohannis hatte ich die damaligen Standpunkte der Parteien beschrieben und verstieg mich zu der Aussage, dass sich die Parteien mit Zu- und Absagen weitestgehend festgelegt hätten. Eigentlich hatte ich mit Neuwahlen gerechnet, die von der PSD damals favorisiert wurden, da sie wahrscheinlich mit erheblichen Stimmzuwächsen hätte rechnen können. Die PNL und der Ministerpräsident Klaus Iohannis dagegen wollten Neuwahlen um jeden Preis verhindern und haben die PSD nun zur Koalition „überredet“, obwohl die Parteiprogramme der PNL und der PSD sich seit jeher diametral gegenüber stehen.
Das offensichtliche Lockangebot der PNL war der Wechsel des Premiers, der in der zweiten Hälfte der noch 3-jährigen Legislatur dann von der PSD gestellt werden soll. Auch die Minister für Finanzen und Verkehr sowie der Generalsekretär der Regierung sollen dann rotieren. Den Vize-Premier stellt die jeweils andere Partei. Das Ganze hängt an einem gentlemen’s agreement, so dass die PSD der PNL in dieser Sache vertrauen muss.
Marcel Ciolacu, der Vorsitzende der PSD gab zu diesem seltsamen Handel eine der üblichen Schönreden ab:
Ich weiß, dass Sie mich fragen werden, warum die PSD den Premierminister nicht gleich bei der ersten Rotation gestellt hat. In der Tat hat die PSD die Wahlen gewonnen und war berechtigt, dies zu fordern. Wir haben dieses Zugeständnis gemacht, weil die PSD beschlossen hat, dass Maßnahmen für die Menschen wichtiger sind als vorübergehende Funktionen. In dieser Zeit der Krise muss die PSD für die Rumänen regieren und sich nicht um Posten oder sogenannte Ministerien mit Geld streiten.
Qulle: -> RFI
Hier übertreibt Ciolacu maßlos, denn es geht schlicht um Macht und Einfluss, den er der PNL abgerungen hat.
Präsident Klaus Johannis hat am Montag für das Amt des Regierungschefs der ersten Hälfte der neuen Regierungskoalition Nicolae Ciucă (PNL) mit der Regierungsbildung beauftragt.
Die Ministerien
Die Allgemeine Deutsche Zeitung schreibt dazu:
In Ciucăs sozialliberalem Kabinett wird der Seniorpartner PSD die Portefeuilles Finanzen, Wirtschaft, Verteidigung, Verkehr, Landwirtschaft, Gesundheit, Arbeit, Kultur, Jugend und Familie sowie das Schlüsselamt des Generalsekretärs der Regierung (im Rang eines Ministers) halten. Auf die PNL entfallen die Ressorts Justiz, Inneres, Äußeres, Bildung, EU-Mittel, Energie, Digitalisierung und KMU, während der UDMR die Ministerien für Entwicklung, Umwelt und Sport behält.
Quelle: adz.ro
Die PSD wird darüber hinaus auch die meisten Staatssekretäre ernennen – nämlich insgesamt 42, PNL und UDMR kommen auf 34 bzw. 8. Im Einklang mit den neuen Mehrheitsverhältnissen wird die PSD im Parlament zudem den Vorsitz einer Reihe von Ausschüssen übernehmen sowie mit Parteichef Marcel Ciolacu auch den künftigen Präsidenten der Abgeordnetenkammer stellen.
Eigentlich regiert die PSD
Hierin dürfte auch der Grund für das Einlenken der PSD zu suchen sein. Kommentatoren in den rumänischen Zeitungen sehen darin einen Erfolg der Verhandlungsführung durch Marcel Ciolacu, „der das erreicht hat, was die Partei selbst in ihren optimistischsten Träumen nicht zu erreichen gehofft hatte“.
Der Anteil der PSD an der künftigen Exekutive ist mit neun Ministern in den wichtigsten und lukrativsten Bereichen sowie dem Generalsekretariat der Regierung so groß, dass die Liberalen, auch wenn sie nominell den Posten des Ministerpräsidenten innehaben, praktisch kaum zählen. Die PSD hat nicht nur fast alles, was wichtig ist, an sich gerissen, sondern es kommt für sie noch schlimmer, denn in der neuen Allianz spielt die UDMR weiterhin auf der Seite der Sozialdemokraten.
Quelle: Kommentar Ion M. Ionita
Das erklärt auch, warum die UDMR auch immer noch mit an Bord ist, obwohl ihre Beteiligung an der Koalition nicht unbedingt notwendig gewesen wäre, um satte Mehrheiten zu erzielen.
Verschiedene Mitglieder der PNL fordern bereits den Rücktritt von Florin Cîțu vom Parteivorsitz. Er habe „jede moralische Autorität verspielt“.
Der Ex-PNL-Chef Ludovic Orban gab am Montag seinen sofortigen Austritt der Partei bekannt. Die PNL sei für ihn „ab heute gestorben“. Schuld am Untergang der PNL seien eine „schwache Führung sowie Staatschef Klaus Johannis“, der die Partei in „eine Sackgasse manövriert“ habe.
Dieser Austritt könnte Folgen haben, da ihm vermutlich etliche Abgeordnete der PNL folgen werden.
Der Senatsvorsitz geht an die PNL
Im Senat wurde die bisherige Senatspräsidentin Anca Dragu (USR) ihres Amtes enthoben und Florin Cîțu (PNL), der zuvor als Premier durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden war, übernimmt nun diese Funktion. Anca Dragu will dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegen, da der Senatspräsident nach der Verfassung für die gesamte Legislatur gewählt wird. Dragu nannte das „eine Tyrannei der Mehrheit, die eine der Schwächen der Demokratie darstellt“.
Der Vorsitz in der Abgeordnetenkammer geht an die PSD
Der PSD-Vorsitzende Marcel Ciolacu wurde gestern mit 217 Ja-Stimmen zum Präsidenten der Abgeordnetenkammer gewählt. Die Gegenkandidatin Cristina Prună (USR) erhielt nur 77 Stimmen. Die Position des Präsidenten der Abgeordnetenkammer ist von entscheidender Bedeutung, da die Kammer in der Regel bei der Abstimmung über Gesetzesentwürfe eine Entscheidungsfunktion hat. Auch hier hat die PSD erhebliche Zuwächse an Einfluss.
Die Mainstream-Presse heult
Die Machtfülle der PSD treibt der Mainstream-Presse die Zornesader auf die Stirn. Zwar waren in der Vergangenheit nachweislich etliche Mitglieder der PSD in kriminelle Machenschaften verwickelt, aber insbesondere die fehlende Absicht das Impftempo zu forcieren, stößt den Journos auf.
Warum will die PSD die Impfung nicht forcieren? Ein großer Teil der PSD-Wähler sind Impfgegner, und wenn sie sich aufregen, rennen sie sofort zur AUR. Rafila wird im Schaufenster gehalten, aber die Wurzeln der Partei liegen in der Wählerschaft, die die Familie Pandele Jahr für Jahr auf kostenlose Pilgerfahrten mitnimmt.
Quelle: -> Newsweek Romania
Noch schlimmer ist für die Mainstream-Presse die inzwischen auf 38% (laut Umfrage CURS) gestiegene Zustimmung zur PSD und die Ansehensverluste der PNL.
Die Hauptschuld an der derzeitigen politischen Krise sehen 35% bei Staatspräsidenten Klaus Johannis, gefolgt von 24%, die PNL und USR gleichermaßen in der Verantwortung sehen. Zur Frage, wie gut oder schlecht Politiker in der Krise agiert haben, gaben 89% an, Florin Cî]u (PNL) habe eher schlecht gehandelt, gefolgt von Klaus Johannis (78%) und Dacian Ciolo{ (USR) mit 77%; Marcel Ciolacu (PSD) wird von 43% gut und von 49% schlecht bewertet.
Quelle: -> adz.ro
Persönliche Einschätzung
Ich gehe davon aus, dass die Regierungskoalition nicht von langer Dauer ist. In der PNL rumort es bereits jetzt zu sehr und die PSD muss mit erheblichem Widerstand aus den Institutionen rechnen. Deren Einfluss ist zwar begrenzt, hat aber in Medien und Presse einen enormen Wirkungsverstärker.
Außerhalb der Städte allerdings stellt die PSD die Mehrzahl der Bürgermeister, die nah am Landvolk sind, das überwiegend konservativ ist und mit den liberalen Ideen der PNL wenig anzufangen weiß.
Es wird also vor allem darum gehen, diese Stimmen zu mehren. Die Erhöhung der Mindestpensionen von 800 auf 1.000 Lei wurde zwar von der PNL am 19.11. verkündet, ist aber seit Jahren eine Forderung der PSD. Gleiches gilt für die Anhebung des Mindestlohns auf 2.550 Lei und das Kindergeld.
Nach einem Wechsel des Premiers zur PSD dürfte die Koalition für die PNL auch unter besten Voraussetzungen untragbar geworden sein. Spätestens dann – so mein Tipp – hat sich auch diese Regierung erledigt.
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